Wahhabiten

 
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Als wahhabitischer Islam wird die strenge Version des sunnitischen Islam in Saudi-Arabien bezeichnet. Muslime anderer Richtungen betrachten den Wahhabismus als Sekte, er selbst sieht sich als einzig rechtgläubigen Islam – dazu berufen, alle anderen Muslime auf den rechten Weg des Koran zurückzuführen. Der wahhabitische Anspruch auf Reinheit des Islam richtet sich gegen jede Art von fremdem kulturellen Einfluss, vor allem gegen die säkulare Wissenschaft und westliche Einflüsse, aber genauso unerbittlich wie gegen Außeneinflüsse auch gegen das kulturelle Erbe des islamischen Orients wendet, dessen Charakteristikum die Vielfalt ist.

Der Wahhabitismus verbannt die Frauen vom Lenkrad und verwehrt ihnen in konservativeren Landstrichen sogar Gesang, Parfüm und Blumenschmuck. Er dehnte das Alkoholvverbot sogar auf Tabak und Kaffee aus. Außerdem ist für dem Wahhabismus eine strikte Dschihad-Orientierung kennzeichnend: Er verlangt von seinen Anhängern den aktiven Einsatz für die Verbreitung des wahren Islam. Deshalb ist Saudi-Arabien zu einem der am stärksten missionierenden Länder in der islamischen Welt geworden.

Geschichte

Begründer des Wahhabismus ist Scheich Mohammed Ibn Abdul Wahhab. Er wurde um 1700 in Ayina nördlich von Riad geboren. Abdul Wahhab studierte insbesondere die Rechtsdogmatik Ahmad Ibn Hanbals (780-855), der den Intellektualismus anklagte, der zwischen Gott und seinem Wort unterschied. Nach seiner Auffassung war der Koran vom Himmel gesandt und unveränderlich; die Menschen dürften ihm nichts hinzufügen. Abdul Wahhab verfasste auf dieser geistigen Grundlage sein Buch der Einheit. Für sein Staatsverständnis wurden die Schriften des Hanbaliten Ibn Taimiya wichtig, der im frühen 14. Jahrhundert die Idee der Khilafa, der rechtgläubigen weltlichen Herrschaft des Kalifen, abgelehnt und an ihre Stelle das im Koran offenbarte göttliche Gesetz der Scharia gesetzt hatte.

Der Islam, so predigte Ibn Wahhab, habe seine Schwächung dem Einfluss westlicher Einflüsse wie der empirichen Wissenschaft und des Christentums zu verdanken. Von diesen gelte es die Verkündigung des Propheten zu reinigen. Die Anhänger Wahhabs überfielen 1802 die Stadt Kerbela im heutigen Irak und verwüsteten die Grabmoschee Husseins, des Enkels des Propheten. Ein Jahr später verwüsteten sie in Mekka die Kaaba und in Medina die Grabmoschee des Propheten - jene Heiligtümer, zu deren Beschützern sie sich im folgenden Jahrhundert aufschwingen sollten. Gott brauche keine Kultstätten, sein Wort habe zu genügen.

Ibn Abd Al Wahhab gewann Anaza-Scheich Ibn Saud für seine Lehre, dessen Nachfolger 1790-1800 die nordarabischen Stämme einigten, 1806 Mekka eroberten und im 20. Jahrhundert das spätere Saudi-Arabien gründeten. Dessen ersten König Abd al-Aziz Ibn Saud in Riad sah sich aber sofort rivalisierenden Clans gegenüber, die ihm nicht nur die Vorherrschaft über Abdul Wahhabs geistliches Erbe streitig machten. Die Ikhwan oder Brüder, wie sich ihre Krieger nannten, hielten denkbar wenig von jenem modernen Staat, der Ibn Saud vorschwebte. Deshalb gab es vor etwa 80 Jahren eine Rebellion der religiösen Fanatiker, der Ikhwan. Die Monarchie setzte sich zwar gegen sie durch, musste aber auf ihre religiösen Vorstellungen Rücksicht nehmen. So gelten im Lande heute noch die Gesetze des wahhabitisch interpretierten Koran statt einer Verfassung.

Seither verlaufen die Fronten auch im Inneren der Königssippschaft, wobei die Unzufriedenheit mit der wahhabitischen Führungsspitze allerdings wiederum nur im Namen der reinen Lehre Abdul Wahhabs formuliert werden kann. 1975 hatte unter Berufung darauf ein Mitglied des Königshauses König Feisal erschossen. Als Hüter der beiden heiligen Stätten des Islam sieht sich das Königshaus Al Saud in einer weltweiten Sonderverantwortung für die Wahrung und Verbreitung unverfälschter islamischer Werte. Auch die Kulturpolitik Saudi-Arabiens folgt den Leitlinien des Wahhabismus. Das bedingt Einschränkungen selbst solcher kulturellen Aktivitäten, die in anderen islamischen Ländern längst selbstverständlich geworden sind. So ist die Darstellung einer von der islamischen Tradition abweichenden Kunst, Literatur oder Theologie anderer Länder unüblich und vielfach tabuisiert. Öffentliche Kinos, Theater oder Schauspielhäuser existieren nicht. Kulturveranstaltungen mit westlicher Beteiligung wie etwa Buchlesungen, Filmvorführungen oder Ausstellungen bedürfen behördlicher Genehmigung und unterliegen der strengen Zensur der wahhabitischen Religionswächter.


Missionsaktivitäten in der ganzen Welt

"Das ist ein Zentrum der religiösen Anleitung und Wegweisung, das an der Verbreitung des gerechten Glaubens arbeitet", sagte Abdulaziz Bin Fahd Bin Abdulaziz am 15. September 1995 bei der feierlichen Eröffnung der nach seinem Vater, König Fahd, benannten Akademie in Bonn-Bad Godesberg. Acht Jahre später ist den Bonnern die Freude an dem Geschenk, das sich der Monarch 14 Millionen Euro kosten ließ, vergangen: Die Fahd-Akademie, eine arabische Schule mit angeschlossenem großen Gebetsraum und Minarett, hat sich nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden zu einem Anziehungspunkt für radikale Islamisten entwickelt - mit Kontakten zur Terrororganisation Al Qaida.

Der Wahhabismus wird mit Fleiß exportiert. Um dem Anspruch auf spirituelle Führung in der islamischen Umma (Gemeinschaft der Gläubigen) gerecht zu werden, ist die weltweite Förderung und Verbreitung des Islam das erklärte Ziel der saudischen Politik. Einen wichtigen Stellenwert in der saudischen Außenpolitik haben daher internationale islamische Organisationen wie die Organisation der islamischen Konferenz und die Muslimische Weltliga, mit Sitz in Djidda bzw. Mekka. Diese - ebenso wie deren vor allem mit saudischen Geldern finanzierte Hilfsorganisationen - werden zur Sympathiewerbung und zur systematischen Verbreitung des Islam genutzt.

Bei der Ausbreitung des modernen islamischen Neofundamentalismus haben die Saudis mit ihrem Geld nach Ansicht vieler Islamkenner die entscheidende Rolle gespielt. Wichtigstes Instrument, scheibt Olivier Roy, Forschungsdirektor am Centre nationale des recherches sociales (CNRS), sind die islamischen Bildungseinrichtungen, wie die Madrassen in Pakistan oder die zahlreichen islamischen Institute in Saudi-Arabien und in den Golfstaaten. „Von dort stammen die Imame, die im Westen neue Moscheen gründen oder von bestehenden Gemeinden als Prediger berufen werden. Am besten ist die Missionstätigkeit (dauat) bei Dschamaat at-Tabligh organisiert: Sie haben international zusammengesetzte Missionarsgruppen, die unter der muslimischen Bevölkerung praktisch von Tür zu Tür gehen. Wie die "Wahhabisierung" der Glaubenserziehung funktioniert, konnte man vor allem in Pakistan verfolgen. Dort geriet die so genannte Deoband-Schule, die einst für die Behauptung der persischen kulturellen Identität und ihrer sprachlichen und literarischen Tradition stand, innerhalb von zwei Jahrzehnten unter den Einfluss wahhabitischer Autoritäten und Geldgeber, die den Dschihad der Afghanen gegen die Sowjetunion unterstützten.“

Die wahhabitische Geistlichkeit in Saudi-Arabien ist vom Königshaus der Saud weitgehend unabhängig. Ihre Strategie war es, ihre religiöse Auffassung nicht unter dem Etikett "Wahhabismus" zu exportieren. Sie versuchten sehr erfolgreich, Einfluss auf die religiösen Bildungseinrichtungen der anderen Richtungen zu gewinnen. Die Saudis stellten ihre finanziellen Mittel ganz in den Dienst der Verbreitung dieser Glaubensrichtung. In Saudi-Arabien erhalten Koranstudenten heute höhere Stipendien und finden bessere Studienbedingungen vor als in Ägypten. Und für einen jungen Afghanen in einem pakistanischen Flüchtlingslager war es wesentlich leichter, ein Stipendium für das Studium des Islam in Saudi-Arabien zu erhalten als politisches Asyl in Deutschland. Organisationen wie die Islamische Welt-Liga (Rabita al-Alam al-Islami) und die Islamische Weltmission (Dawah Wal Irshaad) haben unzählige neue islamische Institute und Koranschulen ins Leben gerufen. Das Geld kommt häufig von islamischen Banken in Saudi-Arabien oder von reichen Geschäftsleuten, die durch derlei direkte Zuwendungen ihrer Almosenpflicht (sakat) genügen.

In diesem saudischen Missionsfeldzug sah die westlichen Welt noch in den 1980er-Jahren ein nützliches Werkzeug gegen den iranischen Islamismus und den Kommunismus. Angesichts der ausgezeichneten Beziehungen zwischen der saudischen Monarchie und den westlichen Regierungen schien es kein Problem, die islamische Missionsbewegung politisch unter Kontrolle zu halten. Das hat sich geändert, seit Bin Laden und seine Al Kaida die Ideen des Wahhabismus politisch auf die Spitze treibt.

Nach wie vor bringt Saudi-Arabien horrenden Summen auf, um von Amerika bis Afrika und Asien mit Moscheen und Kulturzentren für Allah zu werben – und die eigene Vorstellung vom Glauben zu verbreiten. Allein in die islamischen Gemeinden der USA mit ihren schätzungsweise vier Millionen Gläubigen sollen in den letzten Jahren über 100 Millionen Dollar an Spenden geflossen sein. Im Ringen um die Seelen der mehr als 300 Millionen Muslime auf dem Schwarzen Erdteil zeigen sich die Saudis so spendabel, dass selbst eine muslimische Diaspora wie Kadoma in Simbabwe mit einer prachtvollen Moschee glänzte. Und auch im bisher weitgehend von einem liberalen Islam geprägten Indonesien – dem Staat, in dem mehr Muslime leben, als in irgendeinem anderen – machen sich die Wahhabiten breit.

 

 
     
 
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